Bevor ich mich wieder Samplern zuwende, möchte ich die mir vielleicht wichtigste und schönste CD, die ich kenne, vorstellen:
Wenn man gefragt wird, welche CD man mit auf die berühmte einsame Insel nehmen würde, dann wäre für mich die Wahl leicht. Und es gibt meghere gute Gründe, warum es ausgerechnet diese CD sein muss.
Ich spreche von
Eva Cassidy - Nightbird
Es geht um die Version von 2015, wo auf 2 CD's erstmalig der ganze Auftritt zu hören ist und auf einer DVD Teile davon in Bild und Ton.
Das ist vielleicht die einzige CD in meiner Sammlung, die ich ohne Not 2 x gekauft habe. Die Erste hat tatsächlich mein Hund zerbissen... Da hatte ich die aber schon gerippt und es war nichts "weg". Trotzdem habe ich es nach einer Zeit nicht mehr "ohne" ausgehalten...
Im Hintergrund seht ihr die Doppel-LP Eva Cassidy - Live At Blues Alley (25th Anniversary Edition) von 2021
Gleicher Abend, gleiches Konzert aber eine abgestecktere Version in nochmaligem neuem Remaster. Eigentlich entbehrlich. Ich habe die auch noch nie aufgelegt und das ist eine der wenigen Schallplatten, wo ich das nicht schlimm finde (einige andere habe ich aus diesem Grund verkauft, wie einige wissen.).
Was macht Eva Cassidy für mich so besonders? Die Stimme! Klar! Wie Sie es damit schafft jeden Song, der Ihr am Herzen lag, zu Ihrem eigenen Song zu machen ist schon ziemlich einzigartig. Bei Eva Cassidy sind es aber auch die äußeren Umstände, die das extrem besonders machen.
Die Mutter war übrigens Deutsche und ging in den 50s mit Ihrem amerikanischen Mann, der als Soldat in Deutschland stationiert war, in die U.S.A. nach Washington D.C..
Eva Cassidy hat als Kind Zugang zu einer umfangreichen Plattensammlung im Elternhaus. Das war sozusagen Ihre musikalische Grundausbildung (von der ich gerne spreche). Viele der Lieder, die Sie an dem Abend singt, entstammen diesem Repertoire.
Und Ihr Geschmack war vielseitig angelegt: Rock, Pop, Folk, Country, Jazz, Blues usw. Sie selbst sah das allerdings anders: für sie ging es nur um die Qualität des Songs. Dabei spielte es für Sie keine Rolle, ob das vorher populär war oder nicht oder es nicht eigentlich schon ultimative Versionen gab.
Mich Fleetwood (Ja, der Drummer von Fleetwood Mac) hatte zu der Zeit auch ein Musik-Restaurant in Washington D.C. und kannte Eva Cassidy. Er hat Sie gefragt, warum Sie unter anderem ausgerechnet ausgelutschte Gassenhauer wie Wonderful World (von Louis Armstrong) im Repertoire hätte. Ihre Antwort war einfach: der Song hat Qualität!
Lieder wie Songbird (von Flettwood Mac/Christine McVie (R.I.P.), welcher bereits von Christine McVie selbst ultimativ vorgetragen wurde, hat Sie noch mal eine ganz eigene Note hinzugefügt und damit eine weitere ultimative Fassung geschaffen, die dem Original nichts wegnimmt und für sich steht. Sting betrachtet Eva's Fassung von Fields of Gold als seiner weit überlegen. Ein. größeres Kompliment kann der Schöpfer eines Liedes kaum machen.
Das eigentlich erstaunliche ist, dass Eva Cassidy sich unter widrigsten Umständen in Washington auf eine kleine Bühne stellt und all diese grossartigen Versionen live (und ohne doppleten Boden) vorträgt.
Wenn man sich diese Umstände mal genauer anschaut, dann ist das nämlich das nächste Wunder: die Qualitäten von Eva Cassidy waren den Plattenfirmen durchaus bekannt. Sie hatte Gespräche mit allen mayor-companies und es scheiterte immer am Gleichen. Blue Note z.B. sagte Ihr: wenn Du ein Jazz-Album aufnimmst, bringen wir das sofort groß heraus. Auf solche Ansinnen hat Eva immer die gleiche Antwort gegeben: ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken! Ich singe nur die Lieder, die mir wichtig sind, die ich fühlen kann! Damit passte Sie in kein Konzept. Sie hatte über mehrere Jahre Musiker um sich herum, die das genau verstanden haben und Sie dabei unterstützt haben. Mit Ihnen tingelte Sie durch die Kneipen und Clubs von Washington und war durchaus eine lokale Größe.
1996 kratzten Sie und die Band Geld zusammen, um in einem letzten Versuch doch etwas auf die Beine zu stellen um die Karriere doch noch in Gang zu bringen. Es ging um die Aufnahme von 2 Live-Abenden im Blues Alley. Sie haben für diese 2 Abende gezahlt um da spielen zu können! Und es wurde ein Tontechniker samt Technik engagiert, damit diese 2 Abende aufgenommen wurden.
Mit dem Tontechniker gab es von Anfang an Spannungen, weil er sich mit seinem Verständnis gegen die Band durchsetzen wollte. Der erste Abend wird im Nachhinein als perfekt beschrieben. Leider hat an dem Abend die Technik versagt und es gibt keine Aufnahmen davon... Der zweite Abend war also die letzte Möglichkeit, etwas aufs Band zu bekommen. Dementsprechend war die Situation angespannt. Eva hasste es so oder so vor Publikum aufzutreten. Sie war extrem scheu und hätte am liebsten im Hintergrund gesungen ohne dass ein Scheinwerfer auf sie gerichtet ist. Erst wenn die Musik begann, war Sie in Ihrem Element und konnte alles um Sie herum vergessen.
Mit dieser Vorgeschichte in dieser Situation ein solches Konzert abzuliefern ist unglaublich!
Nach dem Konzert wurden in Washington und Umgebung tatsächlich circa 1.000 Schallplatten von dem Abend verkauft. 10 Monate später war Eva Cassidy einem Krebsleiden mit 33 erlegen...
Der Rest ist Legende: Anfang der 2000er legte ein Radiomoderator in England das Lied "Over the Rainbow" auf. Er sagte, dass man so etwas nicht planen kann. Manchmal erfolgt gar keine Reaktion. In diesem Fall standen die Telefone im Sender nicht still. Als Resultat landete das Album Songbird, was man sich zusammen geschnitten hat, in England auf Platz 1. Das bekam man natürlich in den U.S.A. und anderen Ländern mit und so landete die Musik von Eva Cassidy überall in den Charts und Ihre Musik (und Ihre Story) wurde fester Bestandteil der Musikgeschichte.
Ich kannte und liebte natürlich Fields Of Gold in der Version von Ihr und als 2015 erstmals das komplette Konzert (plus DVD) erschien, musste ich zuschlagen. Die Geschichte mit meinem Hund ist natürlich tragisch...
Das Ganze ging für mich aber noch weiter: 2019 verstarb meine Mutter. Das wr kein plötzliches Ereignis und Sie war auch entsprechend alt. Meine beiden Geschwister und ich überlegten, welche Musik auf Ihrer Beerdigung gespielt werden sollte. Sie hat unter anderem die Musik von Pavarotti geliebt und da gab es genügend, was man nehmen konnte. Ich habe dann Fields Of Gold von Eva Cassidy vorgeschlagen und das passte 100 % zum Anlass. Das hat der ganzen Veranstaltung eine unheimliche Würde verliehen, die ich nicht vergessen werde.
Nun ist es so, dass man Musik, die man für so einen Anlass auswählt, überstrapaziert ist. Normalerweise ist es schwer, sich später damit zu konfrontieren. In diesem Fall ist es überhaupt nicht so! Im Gegenteil: das Lied (und Eva Cassidy und die ganze tragische Geschichte) hat für mich noch mal eine gesteigerte Bedeutung bekommen. Klar macht es mich ein Stück weit traurig, wenn ich das höre, aber das ist genau die Emotion, die dazu passt!
Ich habe inzwischen eine makabre Playlist angelegt mit Musik, die ich auf Beerdigungen passend finde. Das ist ein ganz illustrer Kreis von Lieder, die nichts morbides an sich haben, sondern die Stimmung perfekt auffangen und ausdrücken. Das ist natürlich seehr individuell und persönlich, aber es ist auch unendlich schön und tröstlich (für mich). Auf dieser Liste steht bei mir Fields of Gold ganz oben!
Und Nightbird ist meine CD. die ich mit auf die einsame Insel nehmen würde...
P.S.: Das Lied Songbird befindet sich nicht auf dem Album und wurde auch nicht an dem Abend gespielt. Davon erschien später eine Studio-Version auf dem Album Songbird. Es gab also auch durchaus andere Aufnahmen von Eva Cassidy.