(13.11.2022, 12:49)tiarez schrieb: [ -> ]Ein Pre-Delay war in dem Fall nicht am Werk: Der Mann hatte sich ganz analog beim vorherigen Durchhören des Bands in seiner Kladde Notizen gemacht, wann welcher Eingriff nötig sei.
Moin Thomas
das war bestimmt spannend, einer solchen Legende beizuwohnen. Momente, die man nie vergisst...geil.
Makkee ist ja auch so eine Legende gewesen (rip), und Howie Weinberg ebenfalls, da konnte man noch richtig was lernen. Wobei ich das, was Weinberg abgeliefert hat, leider in zwei Fällen nochmal machen musste, weil seine Abhöre so "speziell" war, dass offensichtlich nur er darauf sinnvoll hören konnte...
Ich nehme es zunächst dennoch als sicher an, dass die Rede auf das Predelay für den Stichelvorschub gar nicht gekommen ist.
Denn offenbar weißt auch du davon gar nichts - was nicht schlimm ist...niemand weiß das, der nicht mit solchen Maschinen arbeitet. Ich wusste es ja auch vorher nicht.
Oder hat er dir explizit erklärt, dass er ohne delay line arbeitet ? Ich glaube nicht, denn das geht bei Alben gar nicht (s.u.).
Es gibt nur drei Möglichkeiten.
1. Abspielen vom Band - das ist einfach, denn da wird das Predelay einfach mit mehreren Köpfen bewerkstelligt. So ist das jahrzehntelang gemacht worden.
Nachteil...häufiges Abspielen nötig. Mögen die Masterinhaber nicht so gern.
2. Abspielen vom Band - Verzögerung für den Stichel in Echtzeit per digitaler delay line. Ebenso häufiges Abspielen wie bei Methode 1.
3. Abspielen vom Band in den Speicher der delay line (damals) oder jedes beliebige andere digitale Format (wie etwa das DSD bei MoFi) - nur einmaliges Abspielen nötig.
Weiterer Nachteil: Man benötigt vier Bandmaschinen bzw Kopfsets oder eine Spezialmaschine mit verstellbarem Kopfabstand, denn die Kopfabstände sind natürlich je nach Bandgeschwindigkeit (9.5, 19, 38, 76cm/s) des angelieferten Masterbandes unterschiedlich, einfaches Umschalten der Geschwindigkeit reicht da nicht.
Und das auch noch mal zwei, nämlich in Halbzoll und Viertelzoll. All das ist extrem teuer, zusätzlich wartungsintensiv - und nimmt zudem viele Quadratmeter Platz weg.
So eine A80 mit entsprechender Modifikation war garantiert nicht unter 50000DM zu bekommen...mal acht...go figure...
Die Geschichte mit Bernies Notizen ist was anderes, da geht es nicht um den Vorschub, sondern um künstlerische oder technische Eingriffe, die das Audiosignal betreffen. Das ist natürlich üblich, bzw. unabdingbar, das hat jeder so gemacht.
Ich rede vielmehr vom vorauseilenden Vorschub des Stichels, um Platz für die im nächsten Moment auftretende Modulation zu schaffen.
Dieser Vorschub ist nämlich abhängig von dem Platz, der gleich gebraucht wird plus dem der vorherigen Umdrehung außen daneben - ansonsten würde die Auslenkung einer hohen Modulation die der gerade zuvor geschnittenen Rille überlappen - und die Lackfolie wäre ein Fall für den Container.
Um zu wissen, wieviel gleich ausgelenkt werden muss, muss das Signal für den Vorschub dem Signal für den Stichel vorauseilen.
Aus Gründen, die mit unserer derzeitig noch arg beschränkten Verständnis- und Manipulationsfähigkeit des Raum-Zeit-Kontinuums zusammenhängen, lässt sich das eben nicht mit vorauseilender Abtastung des Vorschubsignals in die Zukunft bewerkstelligen, sondern nur durch Verzögerung des Schnittsignals in die Vergangenheit.
Nochmal, weil es nicht ganz einfach ist: Das Gerät muss in jedem Moment vorzeitig "wissen", was gleich an Auslenkung passieren wird und wie hoch die Auslenkung an der Stelle, an der gleich geschnitten wird, bei der letzten Umdrehung war.
Ermittelt wird der nötige Vorschub dann durch den Vergleich des Musiksignals (Echtzeit vom Band oder delay line) mit einem entsprechend der Vorumdrehung des Tellers verzögerten Signal (zweiter Kopf oder delay line) - und das eigentliche Signal für den Schneidstichel wird dann ebenfalls passend verzögert (dritter Kopf/delay line) bis der Teller die Position erreicht hat, an der dann tatsächlich geschnitten wird.
Wie auch immer - den Vorschub hat auch Herr Grundman nicht per Hand gemacht, diese Möglichkeit existiert nämlich - zumindest meines Wissens nach - nicht. Es können auch bei ihm nur mehrere Köpfe auf der Bandmaschine gewesen sein oder eine delay line.
Es besteht allenfalls die Möglichkeit, einen festen, nicht modulationsabhängigen Vorschub einzustellen, so wie früher, als es die Vorschubanpassung noch nicht gab.
Das funktioniert aber nur bei Programmlängen, die deutlich unterhalb einer LP-Seite liegen und daher klar ist, dass man "auf Sicherheit" arbeiten kann und nicht in die Bredouille kommt - etwa bei Maxi Singles oder Neuausgaben von Alben, die dann auf mehrere 45er gestreckt werden.
Also bei Laufzeiten um 10 bis 12 Minuten pro Seite.
Bei normalen Alben mit üblicher Laufzeit von durchschnittlich 22 bis 30 Minuten kommt man aber ohne die Automatik nicht aus, und auch nicht ohne vorherige Pegelanpassung, um den besten Kompromiss zwischen vorhandenem Platz und möglichst hoher Lautstärke zu finden.
Hinzu kommen zur Verringerung der maximalen Rillenauslenkung üblicherweise Limitierung aka Verrundung der Transienten und Phasenverengung im low end. Das sind oft fest eingestellte Prozesse, weil die physikalischen Grenzen natürlich signalunabhängig sind.
(Das ist übrigens der eigentliche Ursprung des Masterings - die Aufbereitung des Signals, um es überhaupt schneiden zu können. Auch Restauration, also zB die Optimierung von Schnitten oder etwa Entrauschung fällt darunter. Die heute darunter verstandene, klangliche Bearbeitung aus künstlerischen Gründen kam erst viel später.)
Deshalb gibt es selbst bei der Mehrkopf-Methode mindestens einen Probeschnitt, bevor es "ernst" wird. Auch bei den Herren Makkee, Grundman, Weinberg etc.
Das Band muss also auf jeden Fall schon an dieser Stelle zweimal abgespielt werden - es sei denn, man hat extremes Glück und zufällig passte schon alles.
Damit wird aber gar nicht gerechnet. Der erste Schnitt ist für die Tonne - dafür da, zu sehen, wo man mit seiner Erfahrung landet.
Auch für die Echtzeiteingriffe anhand der Notizen muss ein paarmal gehört und geübt werden.
Also unter fünfmal Abspielen kommt man selbst bei der rein bandbasierten Methode nicht weg, es sei denn, man macht zumindest das Üben mit einer Kopie, das ginge ja.
Ach, und meist wird, weil man eh dabei ist, gleich noch eine zweite Lackfolie zur Redundanz geschnitten, zumindest bei wichtigen Projekten. Das dauert nämlich dann auch nur noch 'ne halbe Stunde länger - gegenüber einem ganzen Tag, falls man später nochmal ganz von vorn ran muss. Aber: Noch einmal Abspielen mehr...
Man sieht: Die digitale delay line hat auf jeden Fall ihren guten Grund. Und es war ja auch ernsthafte Technik. Da saß keins der ersten Korg Digitaldelays aus der Livetechnik im Rack, das war schon custom made von Neumann. Oder im Falle der DG komplett selbst entwickelte Technik, weil es sowas überhaupt gar nicht zu kaufen gab. In den meisten Fällen war die sample rate vor der CD-Normierung bei 50kHz, auch schon 1976 bei ABBAs 3M 32-Spur...das ist ja schon nicht übel, wie man bis heute hört.
Ich war übrigens nicht "mal" dabei, sondern das war ca von 1990 bis 2003 mein Alltag. Ich habe etwa einmal im Monat im Emil-Berliner-Haus bei Willem Makkee gesessen und ein Premaster erstellt. Natürlich waren davon 95% CD-Master, aber der Mann ist ist schon vorher und bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren jahrzehntelang einer der weltweit allenfalls Handvoll Vinyl-Koryphäen gewesen. So gefragt, dass er das nach seiner Pensionierung noch in seinem privaten Keller in Langenhagen weitergemacht hat. Er hatte der DG "seine" Maschinen immer abgekauft, wenn sie ausgemustert wurden.
Und ich hab auch klar erwähnt, dass es unter den "audiophilen" Kleinstlabels sicher Ausnahmen gibt, denn diese "Problematik" der digitalen delay line ist, zumindest wenn man es vom dogmatischen (Still)standpunkt aus betrachtet, ja völlig unübersehbar der Elefant im Raum.
War ja, weil es so klar auf der Hand lag, auch meine erste Frage, als ich das erste Mal live neben der Maschine stand.
Ich wollte auch nicht behaupten, dass alle Kleinlabels für HiFi-Extremisten das auf jeden Fall so machen, sondern dass die Industrie es so gemacht hat.
Und somit das unvermeidliche Yello- oder Dire Straits-Vinyl vielleicht AAA ist, weil auf analoger Mehrspur aufgenommen (das erste A), analog gemastert (das zweite A) und dann auf Platte gepresst ist (das dritte A), aber...es hätten eigentlich vier Buchstaben sein müssen.
Allerdings wurde die dritte Stelle, der Buchstabe für die technisch notwendige delay line in der Schneidemaschine, nie eingeführt, denn dann wären 95% aller AAA eben AADA gewesen.
Es gab eine Menge Presswerke, die haben bereits früh in den 90ern auch für Vinylschnitt nur digitale Master auf DAT akzeptiert, weil sie sich den Stress und vor allem Kostenfaktor mit der Maschinenwartung, Azimuteinstellung und dem Verschleiß gar nicht mehr angetan haben.
Ganz vorn war da ein Werk in/bei Frankfurt, hab den Namen der Inhaberin vergessen, das hat millionenfach Remix-Maxis für DJ-Bemusterungen gepresst. Die mussten schnell und billig sein, das ging natürlich nur per DAT.
Das alles "nach draußen" zu kommunizieren hätte halt marketingtechnisch aber nicht ganz so geil funktioniert...oder den derzeitigen "Skandal" drei Jahrzehnte früher stattfinden lassen.