Old Fidelity - HiFi Klassiker Forum

Normale Version: Kenwood KA-8004 Restaurierung
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Werte Forumsmitglieder,

Prolog:

Seit ein paar Jahren traue ich mich gelegentlich an die Reparatur älterer HiFi Geräte. Neben einem gewissen technischen Grundverständnis, einem Semester Elektrotechnik während des Maschinenbaustudiums vor 30 Jahren oder so, einer rechten und einer linken Hand nutze ich dafür natürlich immer wieder die diversen Foren und entsprechenden Webseiten (ein Tipp am Rande: https://liquidaudio.com.au/ Vintage HiFi porn at its finest). In diesem konkreten Fall habe ich ein paar fehlende Teile hier im Forum gefunden, was wiederum als Anregung gedient hat, auch mal selbst einen kleinen Beitrag zu leisten.

Die Arbeit:

Ganz in der Nähe meines Wohnortes habe ich für 100 Euro und voller Abenteuerlust den hier vorgestellten Verstärker als ungetestet und in 110 V Version über Kleinanzeigen gefunden. Zwei Bilder aus der Anzeige:

[Bild: Anzeige-Front-links.jpg]

[Bild: Anzeige-Front-rechts.jpg]

Die Übergabe erfolgte stilgerecht auf der Seite stehend in einer übergroßen Aldi Tüte.

Ergebnis der Bestandsaufnahme:

- Frontplatte und alle Bedienelemente dreckig
- Aluknopf für die Auswahl der C-Lautsprecher fehlt und Zapfen des Schalters abgebrochen
- Aluhülse für den Netzschalter fehlt
- "Chromflügelchen" zwischen Frontblende und den Holzseitenteilen unansehnlich
- Metalldeckel mit Farbabplatzern und im hinteren Bereich rostig
- tiefe Kratzer oben auf der Frontblende
- schwergängiger Netzschalter
- linker Kanal stumm
- einige Schalter kratzen leicht
- Umstellung auf 220 V wünschenswert (es handelt sich um 110 V Gerät OHNE externen Spannungswahlschalter auf der Rückseite)

Den Dreck auf der Frontblende konnte ich mit einem feuchten Tuch und feiner Stahlwolle entfernen. Gut, dass die Beschriftungen eingefräst sind. Die Knöpfe wurden mit Bürste und Seife im Wasserbad gereinigt.

Die zwei fehlenden Knöpfe habe ich wie erwähnt hier im Forum gefunden (Danke, Peter!). Den Knopf für die C-Lautsprecher musste ich ein paar Millimeter kürzen und habe ihn dann mit JB Weld auf den Restzapfen geklebt. Siehe die graue Wulst links am oberen Schalter:

[Bild: LS-Kn-pfe.jpg]

Beim Versuch, den Chrom auf den Flügelchen zwischen Frontblende und Holzseiten zu polieren, habe ich gleich den ganzen Chrom entfernt. Da ich niemanden gefunden habe, der die Teile neu verchromen wollte (ja, man kann Kunststoff verchromen!), habe ich sie selbst in matt-schwarz sprühlackiert.

Statt den Metalldeckel Sandstrahlen zu lassen, hat ein Bekannter und Metallbauer mir empfohlen, ob der Dicke (bzw. Dünne) des Materials den Deckel ablaugen zu lassen. Glücklicherweise habe ich ganz in der Nähe einen Betrieb gefunden, der das für 25 Euro gemacht hat. Die Korrosionsstellen habe ich mit Nigrin Performance Fein-Spachtel aufgefüllt und geschmirgelt. Eigentlich wollte ich den Deckel dann Pulverbeschichten zu lassen, aber das war mit mit 80 Euro doch zu teuer. Daher habe ich den Deckel selbst über ein paar Tage mit 5 oder 6 Schichten sprühlackiert.

Besondere Sorge bereiteten mir die Kratzer oben auf der Frontblende (auf dem Bild schon zur Bearbeitung an eine Holzplatte geschraubt):

[Bild: Frontblende-top-vorher.jpg]

In Ermangelung einer Fräse habe ich mich mit einer Finnfeile (nach JEDEM Lauf gereinigt, damit der Abrieb keine neuen Kratzer erzeugt) an die Arbeit gemacht. Die langen Kratzer waren irgendwann weg, aber es blieben ein paar kleine Löcher. Ich war so erschöpft vom Feilen, dass ich mal mit einer 10x Lupe nachgeschaut habe. Ergebnis: es waren keine mechanischen Beschädigungen, sondern Lochfraß! Habe dann mit 600er Schmirgelpapier das Finish gemacht und es dabei belassen.

Bevor es zu den technischen Themen geht, hier Bilder des Innenaufbaus von oben und unten ohne Abschirmbleche:

[Bild: Innen-oben.jpg]

[Bild: Innen-Unten.jpg]

Zumindest für meine Bedürfnisse ist alles gut erreichtbar.

Den schwergängigen Netzschalter habe ich ausgebaut und abgelötet, zerlegt (Achtung: kleinste Federn und Kügelchen und Plättchen!), gereinigt, poliert, versiegelt, zusammengebaut (vorher die Kügelchen mit etwas Fett an den richtigen Stellen "fixiert") und wieder verbaut.

Das Problem des stummen linken Kanals ließ sich Dank der Umstellbarkeit auf Stereo, Reverse und Mix (Mono) schnell auf den Vorverstärker reduzieren. Der defekte Transistor (Q11; 2SC1416) war im Kanalvergleich mit Ohmmeter zügig aufgefallen und nach dem Auslöten mit 20 Euro China Transistortester als Übeltäter überführt. Mittels einer Liste bei Audiokarma (https://audiokarma.org/forums/index.php?...ns.688515/) fand ich heraus, dass der nicht mehr lieferbare 2SC1416 Transistor durch den KSC1845 ersetzt werden kann. Bestellt, eingelötet, funktioniert.

Das ordnungsgemäße Auslöten, Zerlegen, Polieren, Versiegeln, Zusammenbauen, Einlöten der leicht kratzenden Regler und Schalter war mir zu auswändig (mea culpa!). Stattdessen habe eine Behandlung mit Kontaktchemie 60 -> (reichlich) WL -> 61 durchgeführt. Bislang sind die Ergebnisse positiv.

Die Umstellung von 110 (117, um genau zu sein) auf 220 (234, um genau zu sein) V war recht einfach, da der Transformator aus zwei parallel geschalteten 117V Primärspulen besteht. Hier ungefähr in der Bildmitte sieht man die zwei verlöteten und mit orangener Kappe abgeschirmten Kabel, um aus der Parallel- eine Reihenschaltung der beiden Spulen zu machen). Die zwei Kappen rechts sind für das neu angelötete 240V Netzkabel (vorher war ein Kabel mit US-Stecker verbaut). Unten links das weggebogene blaue Kabel, welches vorher Strom vom Netzschalter zu den drei geschalteten 110V Buchsen auf der Geräterückseite geliefert hat.


[Bild: Spannungs-nderung.jpg]

Das Ergebnis:

Toller Klang. Aktuell scheint kein Recapping erforderlich, aber vielleicht mache ich das bei Gelegenheit trotzdem. Die Bedienung ist ein wahre Wonne. Alle Regler und Schalter gleiten und rasten ganz wunderbar mit eindeutigem und gleichmäßigem akustischen Feedback.

(Die rote Power-Leuchte und gelbe Quellenanzeige sind in Wirklichkeit wunderbar kräftig und warm.)
[Bild: Ergebnis-1.jpg]

[Bild: Ergebnis-2.jpg]

[Bild: Ergebnis-3.jpg]

[Bild: Ergebnis-4.jpg]

Epilog:

Gekostet hat mich das Ganze vielleicht 150 Euro und unzählige Stunden für die Recherche zu den einzelnen Schritte und die eigentlichen Arbeiten. Die Restaurierung hat mir aber trotzdem, oder gerade deswegen, viel Spaß gemacht! Es ist immer wieder ein tolles Gefühl, nach langer Arbeit Erfolg zu haben. Optisch hat der Verstärker immer noch ein paar Macken, aber mit denen lebe ich gerne.

Der Verstärker steht bei uns im Wohnzimmer an der Zweitanlage. Im Musikzimmer habe ich einen Accuphase E-303 (für 100 Euro gekauft, wirklich ewig nach dem Fehler gesucht, warum ein Kanal bei bestimmten Frequenzen leiser spielt, aber das ist eine andere Geschichte), bei uns im Café steht ein Kenwood KA-501 (den hat mein Sohn mal geschrottet und nur dank der Fernberatung durch einen freundlichen Kleinanzeigennutzer konnte ich die Endstufe wieder reparieren ... das war mein Einstieg in die Elektronikreparatur und auch eine andere Geschichte) und ebenjenem Sohn habe ich vor kurzem einen tatsächlich funktionierenden Kenwood KA-801 geschenkt. Von all den Verstärkern finde ich aktuell den hier vorgestellten 8004 am schönsten. Der Accuphase ist sicherlich deutlich besser und bietet eine MC Phono Vorstufe, aber der 8004 strahlt ein ganz andere Wärme und Eleganz aus.

Markus
Tolle Arbeit!
Super gemacht, Markus. Ist sehr schön geworden!

LG
Mike
Stell den mit 2-4 Bildern auch im Markenthread vor. Smile
https://old-fidelity-forum.de/thread-1038-lastpost.html