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Röhrenradio
#26
meinetwegen sollen die Kollegen ruhig reich werden - ich bin ein Verfechter der Meinung, dass gute Arbeit ruhig gute Profite abwerfen darf.

Aber gerade deshalb bin ich bei solchen Angeboten skeptisch - ich arbeite selber seit vielen Jahren als Freiberufler. Wenn ich leben möchte wie ein Facharbeiter oder einfacher Angestellter, muss ich einen Stundensatz von etwa 40 Euro ansetzen. Ich muss meine kompletten Sozialversicherungsbeträge selber zahlen, muss die standardmäßigen sechs Wochen Urlaub, die Feiertage etc. als Ausfallzeit kalkulieren und so weiter, und dann kommt noch das Finanzamt. 40 Euro je Produktivstunde reichen für ein einfaches Leben, 50 Euro braucht man, um gut zurechtzukommen, ohne dabei Millionär zu werden.

Bei den Radios, besonders dann, wenn es Mittelklasseradios der Fünfziger sind, kollidiert der erzielbare Verkaufspreis mit dem quasi nicht vorhandenen Sammlerwert. Ein Radio, das in verbraucht keine 50 Euro bringt, kann man niemals für 1000 Euro verkaufen, und wenn es noch so toll restauriert ist. Der Aufwand für die Instandsetzung ist aber bei den Geräten ziemlich gleich, egeal, ob es eine Sammlerrarität ist oder nicht. Wenn ich zwei Tage brauche, um ein Radio zu revidieren, sind das bei 16 Stunden und 40 Euro 640 Euro reine Arbeitskosten, hinzu kommt das, was das Radio im Einkauf kostet plus Materialien - alleine ein originales Valvo oder Telefunken Auge EM34 kostet heute in NOS bis zu 200 Euro. Die Abschreibung für die Werkstatt, die bei gewerbsmäßigen Restaurateuren berufsgenossenschaftskonform sein, und von der zuständigen Handwerkskammer abgesegnet sein muss, muss ebenfalls anteilig auf jedes Gerät draufgerechnet werden.

Wie das unter solchen Rahmenbedingungen funktioniert, Röhrenradios für 400 Euro als komplett revidiert zu verkaufen, das kann ich mir ehrlich nicht vorstellen.

Bei alten Autos scheint es mittlerweile zu funktionieren, dass auch Modelle mit geringerem Wert für Preise deutlich über dem Marktwert gekauft werden, wenn nachweislich eine gute Restaurierung dahintersteckt. Das wird aber bei Röhrenradios nicht funktionieren - wer wäre bereit, 1000 Euro für ein perfekt restauriertes Radio vom Schlag Graetz Musica zu bezahlen, sicher eher wenige.

Gruß Frank
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#27
Hallo - Haben aus dem Nachlass meiner Großmutter eine Graetz Grazioso 4916 rumstehen. Vielleicht findet sich ja hier ein Liebhaber der an dem Teil Interesse hat?
GLG - Martina
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#28
Woher kommt eigentlich die Abneigung gegen die Allstromgeräte? Röhrengeräte arbeiten nunmal mit hohen Spannungen, da tut sich in der Endstufe nicht so dolle viel zwischen Allstrom und Trafo, mitunter sind auch die U-Röhren günstiger zu haben als gleichartige E-Röhren. Die E-Röhren sind bei der DIY sehr beliebt, daher teuer. Man sollte halt bei nem Neuerwerb zuerst !vorsichtig! entstauben, vorzugsweise mit Druckluft, dann ne Sichtprüfung auf kaputte Wickelkondensatoren, und die Skalenbeleuchtung testen (ganz wichtig, damit man weis, ob es unter Strom steht). Wenns dann ok ist, Stecker rein und los. Wenn da was im Argen ist, machts allenfalls "peng" und das kaputte Teil zeigt sich. Und ganz Vorsichtige klemmen das Ding halt erstmal an nen Trenntrafo. Vorsicht ist bei Frickelbuden vom Restehof geboten, derweil die fliegende Verdrahtung durch weg"werfen" und der anschließenden harten Landung schon mal zu Kurzschlüssen neigt, wobei die Röhren meist auch aus den Fassungen fliegen oder zumindestens ihre Heizung verlieren. Geräte ohne äußere Macken sind in der Regel auch innen ok. Grundregeln: Bei offener Rückwand Finger weg, es sei denn, man weis ganz genau, was man tut. Für Laien nochmal: Nur gucken-nicht anfassen. Ebenfalls Finger weg von Geräten mit Rost im Inneren, Wasserschäden am Gehäuse oder sichtbaren Macken von harten Landungen. Krumm oder vermackt = meistens kaputt. Bei Allstromgeräten keine anderen Geräte ohne Wandler anschließen, bevor man die Ein/Ausgänge nicht auf Spannungsfreiheit geprüft hat. Nichts kaufen, was man nicht gesehen, am Besten natürlich in Funktion, hat. Soviel Zeit sollte sein, wenn man den dringenden Wunsch nach einem solchen Oldie hat. Bei den meisten Geräten ist im inneren ein Schaltplan irgendwo angeheftet, das macht Spaß, jedenfalls mehr, als stundenlang im Weg nach nem SM von späterem Gerfaffel zu suchen.

Habe selber ein Telefunken DaCapo Allstrom UKW. Mit ein paar neuen Skalenbirnchen, Sidolin für die Skalenscheibe und etwas Holzöl fürs Gehäuse war es wieder schick.Afro

Und Frank, Recht haste. Gute Arbeit kostet gutes Geld. Man sollte sich selbst fragen, ob man bereit ist, fürn Appel und n Ei seine Zeit aufzuwenden, eh man andere für ihre vermeintliche Raffgier verurteilt.
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#29
Moin,

(20.01.2014, 14:00)hörtnix schrieb: Woher kommt eigentlich die Abneigung gegen die Allstromgeräte?

Diese Geräte haben keinen Trafo und somit keine galvanische Trennung der Netzspannung. Ein Pol des Netzstecker kann bei vielen (nicht bei allen) Geräten auf dem Gehäuse liegen; die Wahrscheinlichkeit so richtig einen gepfeffert zu bekommen liegt bei diesen Kisten also bei 50% Oldie

Gruß Roland
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#30
(20.01.2014, 16:01)rolilohse schrieb: Diese Geräte haben keinen Trafo und somit keine galvanische Trennung der Netzspannung. Ein Pol des Netzstecker kann bei vielen (nicht bei allen) Geräten auf dem Gehäuse liegen; die Wahrscheinlichkeit so richtig einen gepfeffert zu bekommen liegt bei diesen Kisten also bei 50% Oldie

Gruß Roland

Die Allstromgeräte sind schutzisoliert, sprich, bei bestimmungsgemäßem Oldie Gebrauch droht keinerlei Gefahr. Das sagen auch die genormten Zeichen für die Isolierungsklasse auf der Rückwand. Das gesamte berührbare Gehäuse besteht aus einem Isolierstoff wie bei einem Fön oder einer Bohrmaschine.
Wer allerdings diesen Bereich des "bestimmungsgemäßen Gebrauchs" verlässt, zum Beispiel zum Basteln das Gerät ohne Abdeckungen betreibt und dann spannungsführende Teile berührt, ist selber Schuld.
Keiner würde auf die Idee kommen, einen Fön ohne Gehäuse zu betreiben und dabei anzufassen.
Der Fachkundige hat nicht für lau drei Jahre gelernt. Ein Trenntrafo ist für Servicearbeiten an Allstromgeräten vorgeschrieben.
Btw. soll es auch Geräte mit "Spartrafo" geben, bei denen Primär- und Sekundärwicklung einen gemeinsamen Massepunkt haben. Die sind wenigstens genauso gefährlich, eigentlich sogar noch schlimmer, weil nicht "Allstrom" als Warnung drauf steht.

Gruß Frank
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#31
Allstromgeräte hatten mehrere Nachteile.

Erstmal die elektrische Sicherheit. Das, was wir uns heute als Schutzklassen vorstellen, kann man bei den Geräten vergessen. Erstmal waren die Vorschriften damals viel lockerer, dann sind die Geräte alle über 50 Jahre alt, und dass es nur Allstromgeräte mit Plastikgehäuse gegeben hat, ist ein Märchen. Firmen wie Graetz und Grundig haben Allstromgeräte im Programm, die nur eine Abwandlung eines Wechselstromgerätes sind, und genauso im Holzgehäuse mit durchgesteckten Metallachsen daherkommen, wie ihre Wechselstrombrüder.

Die nach aussen geführten Metallteile waren bei den Allstromgeräten meist mit irgendwelchen Kunststoffhüllen oder Abdeckungen "geschützt", die nach 60 Jahren aber meist weggebröselt sind. Und selbst wenn hier noch alles ok ist, hört es spätestens am Phonoeingang auf, der meist völlig frei berührt werden kann. Zwar steht meist ein Warnhinweis vom Stil "Nur Plattenspieler nach VDE anschließen" auf der Rückwand, nur wer weiß schon wirklich, was das bedeutet. Sowas wie verwechslungssichere Steckverbinder, wie es heute üblich ist, gab es damals nicht.

Neben der Sicherheit haben Allstromgeräte aber auch noch im Betrieb Nachteile. Jede Röhre braucht eine bestimmte Heizleistung, die das Produkt aus Heizspannung mal Heizstrom ist. Die Röhren in Wechselstromgeräten, deren Bezeichnung mit "E" anfängt, haben alle 6,3 Volt Heizspannung, und der Strom variiert nach Röhrentyp. Eine Endstufenpentode braucht z.B. einen höheren Strom als eine im ZF-Verstärker.
Bei Allstromgeräten ohne Trafo hängen die Heizfäden der Röhren wie eine Christbaumkette in Reihe hintereinander. Hier muss der Heizstrom überall gleich sein, bei den gängigen Röhren, deren Bezeichnung mit "U" anfängt, sind dies 100mA. Die Endstufenpentode braucht dann eine höhere Spannung als die im ZF-Verstärker.

Das Problem, was nun auftritt: Die Heizfäden bestehen alle aus irgendeiner Metalllegierung, und haben daher einen Widerstand, der stark temperaturabhängig ist. Eine Röhre mit geringer Heizspannung hat einen geringeren Widerstand als eine mit hoher Heizspannung, und daraus ergibt sich eine unterschiedlich starke Widerstandsänderung jeder einzelnen Röhre in der Aufheizphase. Bei einigen Allstromgeräten kann man das gut beobachten, wenn man ein absolut kaltes Gerät einschaltet, und die Röhren bebachtet. Einige leuchten sofort auf wie Glühlampen, und werden danach wieder dunkler, während andere mehrere Minuten brauchen, bis sie überhaupt ein leises Leuchten zeigen. Diesem Effekt wird mit unterschiedlichen Mitteln begegnet, weil er die Lebensdauer der Röhren massiv verkürzt. Man arbeitet z.B. mit temperaturabhängigen Widerständen, die sich genau anders herum verhalten, im kalten Zustand also einen hohen Widerstand haben, der mit Erwärmung geringer wird. Solche Widerstände waren aber in den frühen Fünfzigern sehr teuer, und sie verlängerten die Anheizzeit erheblich, was den Effekt verursacht, dass Geräte mit U-Röhren teilweise bis zu zehn Minuten brauchen, bis sie richtig klar und laut spielen.

Ein weiteres limitierendes Problem ist, dass bei 100mA Heizstrom relativ hohe Heizspannungen erforderlich sind, um die nötige Heizleistung zu produzieren. In den Fünfzigern musste aber auch noch auf die 110 Volt Rücksicht genommen werden, und vier bis fünf in Reihe geschaltete Röhren konnten schon diesen Wert erreichen. Um größere Radios in Allstromtechnik zu realisieren, hätte man zwei oder mehr Heizkreise vorsehen müssen, doch das wäre wegend er erforderlichen NTC-s, und den dicken Drahtwiderständen sehr teuer geworden - von der Energieeffizienz ganz abgesehen, und die hat durchaus auch damals schon die Leute interessiert. Deshalb gibt es so gut wie keine großen Radios in Allstromtechnik.

Da die Gleichstromnetze nach dem zweiten Weltkrieg eh ein Auslaufmodell waren, haben die Hersteller keine besondere Mühe mehr in die Entwicklung gesteckt. Anfang der Fünfziger gab es noch hunderte Radiomodelle in Allstromtechik, Anfang der sechziger in Westdeutschland quasi keine mehr. Nur in wenigen Nischen hat sie in Deutschland bei den Radios die Mitte der Fünfziger überlebt - bei den kleinen billigen Geräten ( Philetta ) und bei den Radio-/Fernsehkombinationen gab es auch noch in der zweiten Hälfte der Fünfziger U-Röhren. Die Radioteile, z.B. in den ganzen frühen Graetz Fernsehkombis, nervten aber durch endlos lange Vorheizzeiten und schlappen Klang. In den späten Fünfzigern setzte sich bei diesen Geräten der Aufbau durch, Radiochassis und Fernsehchassis komplett zu trennen, und damit war es da auch vorbei mit dem Allstrom im Radio, und auch die Küchenradios hatten mittlerweile alle einen echten Trafo.

Beim Fernsehen dagegen hat sich die Allstromtechnik bis zum Ende der Röhrenära gehalten. Grund hierfür war, dass man riesige komplizierte Netztrafos gebraucht hätte, und dadurch das Einsparpotential durch Allsrom sehr groß war. Hier hatte man dann aber auch andere Röhren - die Bezeichnung fing mit einem "P" an, der Heizstrom betrug hier 300mA, was bedeutete, dass man sehr viel mehr Röhren in eine Reihe schalten konnte, und, dass viele gängige E-Röhren integriert werden konnten, weil der Heizstrom ungefähr 300mA betrug.

So, ich hoffe, ein klein wenig Licht in die Sache gebracht zu haben.

Gruß Frank
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  • charlymu, __diz__
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