Deswegen klingt es trotzdem zehnmal besser. Klirrverzerrungen sind leider nicht der heilige Gral. Schon gar nicht, wenn man nicht spezifiziert, welcher Art sie überhaupt sind. Harmonische Verzerrungen z.B. hört man - siehe Röhrenequipment - nicht mal, wenn sie 10% oder mehr betragen.
Die Verzerrungen, die eine Studiobandmaschine produziert, sind mit Absicht ebenfalls dergestalt angelegt, daß sie verdeckt werden.
Was sie von einer billigen AKAI-Consumer-Maschine unterscheidet. Da ist etwas mehr Hirnschmalz eingeflossen.
Klirrverzerrungen sowie Rauschen sind völlig irrelevante Faktoren, um die Qualität einer Aufnahme zu beurteilen. Erst recht im Vergleich mit Digitaltechnik, denn da ist alles über 0.0% sofort hörbar. Das ist der ewige - und von der Industrie propagierte - Denkfehler. Messmethoden, die für Analogtechnik geeignet sind, sind bei Digitaltechnik vollkommen obsolet - und umgekehrt. Alles über 0.0% Fehler bedeutet bei digitaler Verarbeitung ein zerstörtes, und damit unbrauchbares Signal. Somit ist das eine reine technische Grundvoraussetzung - und alles andere als ein Qualitätsmerkmal.
Deswegen werden so häufig Äpfel mit Birnen verglichen, wie gesagt, das ist auch so gewünscht.
Daß eine digitale Aufnahme nicht einmal die Obertöne eines 100Hz-Tons (sobald es keine Sinuswelle ist) vernünftig abbilden kann, wird hingegen gern verschwiegen.
Der Punkt ist, daß heute ausnahmslos jeder Tontechniker, der seine Berufsbezeichnung nur ansatzweise verdient, sich nicht mehr über Klirrfaktor und sonstige Daten unterhält, wenn es um die Analog-Digital-Thematik geht.
Es weiß einfach jeder, daß das digitale Zeug zwar benutzt werden muß, weil die Industrie und die Zeit es nun einmal verlangen - aber daß es in Wirklichkeit nichts taugt und analoger Studiotechnik der 1980er-Jahre um Lichtjahre unterlegen ist.
In der großindustriellen Produktion von Klassikaufnahmen ist die Analogtechnik tatsächlich seit Mitte der 90er endgültig ausgestorben, das hat aber mitnichten klangliche, sondern - wie die gesamte Einführung des CD-Standards - ausschließlich wirtschaftliche Gründe.
Die Aufbereitung der meist in Eile hergestellten Aufnahmen durch Editierung ist mit Hilfe von DAWs schneller, einfacher und damit vor allem billiger.
Bei der DG im Emil-Berliner-Haus in Hannover Langenhagen bin ich ein- und ausgegangen, aufgrund meiner häufigen Zusammenarbeit mit dem damaligen Senior Mastering Engineer. Die haben ihr gesamtes Digitalequipment, von den Wandlern, über die Pulte, bis hin zu den DAWs selbst entwickelt, weil der Markt keine Produkte hergab, die ihren klanglichen und qualitativen Maßstäben entsprach.
Und nun darf man dreimal raten, woher diese Maßstäbe kamen.
Richtig: Aus 60 Jahren Analogaufzeichnung und -verarbeitung.
Und daß es ein qualitativer Rückschritt war, war damals schon jedem vollkommen klar, wenn sie es auch natürlich in der Öffentlichkeit genau gegenteilig darstellen mußten. Daher hat es dort ein paar Jahre länger gedauert, bis die Wahrnehmung der Konsumenten sich von der Gehirnwäsche erholte.
Es gibt aber seit vielen Jahren immer mehr kleine Plattenfirmen, die dem entgegen treten und mit höchstmodifiziertem Equipment, gern auch mit Röhren, wieder analog aufnehmen und vor allem mischen. Die Geräte kommen dann aus der Werkstatt von Tom Colangelo, George Massenburg und ähnlichen Koryphäen.
Erst der allerletzte Schritt ist dann die Digitalisierung, sofern das Endprodukt nicht nur auf Vinyl, sondern auch digital vorliegen soll.
Diese Vorgehensweise ist - Modifikationen hin oder her - bis dato die einzig sinnvolle.
(05.03.2014, 06:12)Klirrfaktor schrieb: [ -> ]Und ich kenne keine aktuelle klassische Aufnahme, die wirklich unter den herbeibeschworenen digitalen "Artefakten" leidet, wohl aber unter dürftiger Aufnahmetechnik oder Interpretation.
Da sprichst du einen ebenfalls wichtigen Punkt an. Nicht alles, was sich Klassik schimpft, hat das Zeug zum Klassiker. "Dürftige Interpretationen" sind bei immer höherem Kostendruck heute leider immanent. Ein weiterer Grund, sich bei den kleineren, von Konzernpolitik unabhängigen Labels umzusehen.
"Dürftige Aufnahmetechnik" finde ich aber gerade bei großen Produktionen eher selten. An der Mikrofonierung hat sich seit Jahrzehnten nichts verändert - nur hängt heute Digitalmüll am Aufnahmeende, der leider die Rauminformation nicht abbildet.
Das ist die eigentliche Tragödie.