Hatten wir, glaube ich, schon mal aber nicht jeder kennt diesen schönen Artikel.
Ode ans Tape-Deck
Wer hören will, muss spulen
Hits vom laufenden Band: In der Prä-iPod-Ära war das Musikhören noch ein sinnliches Erlebnis. Zumindest für SPIEGEL-Redakteur Christoph Schwennicke. Der betete als Jugendlicher sein Edel-Tapedeck an wie einen Gral - und blätterte durch die Kataloge der Hifi-Hersteller, als wäre es der "Playboy".
Es trug sich zu in einer Zeit, als die Hosen unten so glockenförmig ausliefen, dass unsere Schuhe darunter verschwanden, Schaumstoffkeile in den Jacken aus Menschen wandelnde Schränke machten und kleine Elektromotoren einen Teller in Schwung brachten, auf dem sich schwarze Scheiben drehten. "Verdamp lang her", sangen damals BAP, und das ist jetzt auch schon wieder verdammt lang her.
Lasst euch berichten von dieser untergegangenen Zeit, als die Rechner noch Atari hießen und man noch nicht "brannte", sondern "aufnahm" - in Echtzeit, eins zu eins, nicht mit 32facher Brenngeschwindigkeit. Wir verbrachten aufsummiert Jahre unseres Leben damit, Platten im Akkord zu kopieren und mit Hilfe eines Aufnahmegeräts auf Bänder zu ziehen. Es war eine hohe Kunst. Die echten Profis achteten beispielsweise darauf, dass das Aufsetzen des Tonarmes mit diesem damit einhergehenden gewaltigen Krachen nicht mit aufs Band kam.
Die Compact-Cassette faszinierte uns. Ich beispielsweise hätte locker bei "Wetten, dass ...?" auftreten können, denn ich war in der Lage, Chromdioxidbänder von TDK, Maxell und BASF am Geruch der Plastikchassis zu unterscheiden, an guten Tagen sogar die BASF Chromdioxid II von der BASF Chromdioxid Super II.
Der Datenträger einer wilden Jugend
Eisenoxid-Tapes kamen uns erst gar nicht ins Haus, und wenn wir uns einmal etwas Gutes tun wollten, dann gönnten wir uns zum Zehnerpack Chrom-Kassetten von Maxell noch ein Reineisen-Tape. Es hieß Metal Tape, bestand aus ummantelten Eisenspänen (weil Eisen pur gerostet wäre), und man konnte es aussteuern über jeden Anschlag hinaus.
Das Tape war der Datenträger unseres jungen ungestümen Lebens. Auf seinen kleinen Spulen hinter dem Sichtfenster wickelte sich unser Leben ab - von links nach rechts, mit einer Geschwindigkeit von 4,75 Zentimetern pro Sekunde. Im Zentrum aber stand die Maschine, die da wickelte, das Tape Deck. Das Tape Deck war das Schlüsselmodul unserer mühsam vom Taschengeld zusammengestoppelten Anlagen, an deren Lautsprecherkabelenden selbstgebaute Boxen hingen mit einem Basstreiber, der Membranen mit einem Durchmesser nie kleiner als 30 Zentimeter in Schwingung versetzte.
Wir sprachen nie vom Kassettenrecorder. Wir sprachen nur vom Tape Deck, oder gleich vom Tape. "Was hast'n für'n Tape?" Das war die Frage, an der wir einander erkannten.
Tapedecks als Sexsymbol
Wir waren jung, gierig, und wir hatten kein Geld. Aber was wir mit unseren 15, 16 Jahren im Überfluss hatten, das waren unbefriedigte Sehnsüchte und Gelüste, die einen ungeheuren Druck in uns erzeugten. Die Prospekte der Tapedeck-Hersteller blätterten wir durch, als wären es Erotikmagazine. Es waren Heftchen mit gestochen scharfen Bildern, auf denen man alles sah, daneben alle Maße, die wir uns in unseren lüsternen Träumen vorstellten. Die Heftchen kamen von Akai, Harman Kardon, Marantz. Das schärfste kam von Nakamichi. Und es war sehr selten, die Händler gaben nur wenige davon heraus.
Darin war es abgebildet, nackt und unendlich schön, die Maschine schlechthin. Es hieß Nakamichi Dragon, kostete damals astronomische 4500 Mark und war die Krönung der Schöpfung, zumindest für uns.
Beim High-End-Händler, der damals nicht so hieß, da stand das Dragon, und wir pilgerten in die große Stadt, die weit entfernt war, etwa zehn Kilometer, um es anzuschauen. Das Tapedeck unserer Träume sah aus wie ein senkrecht gestelltes Mischpult, so viele Kalibrierknöpfchen und Regler verzierten seine Front. Wir kannten seine Maße. Es wog fast zehn Kilogramm, verfügte über fünf Motoren und drei Tonköpfe und eine "regulierbare Aufnahmeazimut", was wir uns ehrfürchtig zuraunten, obwohl ich bis heute nicht weiß, was das eigentlich heißt.
Akrobatik im Kassettenfach
Es handelte sich um ein Auto-Reverse-Deck, eigentlich eine Technik, die wir ablehnten, weil der Tonkopf sich, wenn das Band die Richtung änderte - tschuck!- umdrehte und das Band in die andere Richtung lief. Das Problem bestand bei herkömmlichen Geräten darin, dass dieses tschuck! die Feinjustierung des Tonkopfes unmöglich machte, das Tape also in der Regel entweder auf der Hin- oder der Herspur dumpf klang.
Überall, aber eben nicht bei Dragon, denn der Tonkopf des Dragon justierte sich in Sekundenbruchteilen nach dem Tschuck! selbst und das Band lief auf den nanomillimetergenau über den Kopf. Uns imponierte das ungemein. Skeptiker hielten es dennoch manchmal mehr mit dem RX-505, der einzigen echten Konkurrenz des Dragon (neben dem CR7 versteht sich unter Kennern, was aber nicht weiter schlimm war, weil alle drei aus dem Hause Nakamichi kamen). Wenn es also ein technisches Problem darstellte, dass der Kopf gedreht werden musste, und nach dem Drehen nicht mehr präzise saß - wieso drehte man dann nicht einfach die Kassette selbst?
Das war der Gedanke, der die Japaner - die uns wegen der Deep-Purple-Live-Scheibe "Made in Japan" ohnehin wie das auserwählte Volk vorkamen - genauer genommen die Jungs bei Nakamichi umtrieb. Also macht im 505 nicht das Band, sondern die ganze Kassette Tschuck!, dreht sich am Ende einer Seite wie von Geisterhand bewegt, hinter einer ausladenden Glaskuppel.
Halbgott in der Tapedeck-Fangemeinde
Für die Spätgeborenen: Dragon und 505 sind auf Youtube bei der Arbeit zu sehen, ästhetische Reminiszenzen, die Nakamichi-Nerds dankenswerterweise ins Netz gestellt haben. Eine Augenweide.
Ich hatte das zweitkleinste Nakamichi das BX-125E. Es hatte im Unterschied zum kleinsten BX-100E immerhin Dolby C, sonst nicht viel, nicht einmal ein schön rot leuchtendes digitales Zählwerk wie alle größeren Nakamichis, und das Kassettenfach war auch nicht hintergrundbeleuchtet. Aber geheimnisvoll stand immerhin links neben dem Kassettenfenster untereinander: "Custom Calibrated", "Cam Drive Mechanism", "Three Motor Transport."
Das reichte aus, um der Halbgott in unserer kleinen Tapedeck-Religionsgemeinschaft zu sein, eine Auszeichnung, die es allerdings nicht für umsonst gab. Ich hatte unglaubliche 1000 Mark dafür hingelegt, ich glaube jedenfalls, es waren 1000 Mark, oder es sind 1000 Mark in meiner verklärenden Erinnerung geworden. Die Investition hatte sich auf alle Fälle gelohnt. Die Jungs kamen zu mir, das Baby-Naka anzubeten. Und die Augen der Mädels leuchteten wie seine Leuchtdioden.
Zigtausende Kilometer Band
Was haben wir aufgenommen! Das Tape Deck lief den lieben langen Tag, die roten Dioden der Aussteuerungsanzeige, die senkrecht nach oben und nicht waagrecht zur Seite ausschlugen wie bei den Proll-Decks, flackerten im Takt von Kansas, Jethro Tull und Pink Floyd. Filigran wurde bei den Aufnahmen von Hand ausgesteuert. Plus drei Dezibel als Peak war bei Chromdioxid okay, drüber verpönt. Drunter aber auch. Wer nur bis null aussteuerte war das, was man heute einen Warmduscher nennt. Automatische Aussteuerungsregelung kam schon gar nicht in Frage.
Manchmal habe ich einen halben Nachmittag damit zugebracht, das Kassettenfenster auf möglichst unsachgemäße Weise zu schließen, also nur ganz am äußersten rechten oder linken Rand zu schieben. Das war beim Tapedeck-Kauf ein Qualitätstest, die schlechten arretierten dann nicht richtig. Es ist mir nie gelungen, das Nakamichi auch nur einmal zu einem schlechten Schluss zu verleiten.
Wie viele zigtausend Kilometer Band über seine Köpfe gerollt sind, kann ich nicht ermessen. Das Ding ist von einer unfassbaren Robustheit und bis heute so schön, dass ich gelegentlich in den Keller gehe zu den Kassetten-Racks mitsamt den 326 durchnummerierten und mit Hand in Bleistift beschrifteten Tapes, daneben steht es unnütz und ohne jede Aufgabe. Es funktioniert immer noch einwandfrei, ein einziges Mal in über einem Vierteljahrhundert habe ich die Antriebsgummis austauschen müssen, aber selbst die Kassettenklappe schließt immer noch mit einem Geräusch und einer Präzision vergleichbar der Tür eines alten S-Klasse-Mercedes.
Ehrenplatz im Kellerregal
Es dauert mich, da unten im Dunkel des Kellers, mein Nakamichi sein Dasein fristen zu sehen. Nie hat es mich im Stich gelassen, keine einzige Kassette gefressen, Fremdaufnahmen ebenso willig und wohlklingend abgespielt wie seine eigenen. Und ich stelle es in den kalten, dunklen, feuchten Keller. Beschämend.
Aber die 30 Jahre alten Kassetten kann man nicht mehr anhören, sie sind dumpf geworden über die Jahre, ich werde sie dennoch nie wegwerfen, weil sie ein Teil meines Lebens sind. Warum sollte ich einen Teil meines Lebens wegwerfen? Ich könnte das 125E bei Ebay anbieten, wie meine Frau immer wieder und immer dringender findet, aber warum soll ich für 50 Euro Kaufpreis mein Nakamichi, also meine Jugend verkaufen?
Es war schon unverzeihlich und schlimm genug, dass ich das vor Jahren mit dem Hercules Prima 5 S gemacht habe, jenem Mofa, an dessen Lenker ich die Plattentüten von Freunden nach Hause balanciert habe für die zahllosen Aufnahmetage mit meinem Nakamichi. So einen Fehler mache ich nicht noch mal. Technischer Fortschritt hin, MP3-Zeitalter her.
Nakamichi baut keine Tapes mehr, ebenso wenig gibt es noch die Sta-Jeans, die wir damals trugen, weil unseren Müttern Wrangler und Levi's zu teuer waren. Ich behalte meines und gehe manchmal runter, um eine Kassette in seinen Schacht zu stecken und dem satten Schließgeräusch der Lade zu lauschen.
Vor ein paar Tagen habe ich den Versuch gemacht, das Nakamichi mitsamt den anderen alten Komponenten unserer Tochter als erste Anlage anzudienen, mit der sie richtig Party machen kann. Sie schaute sich das Gerät ohne jede Emotion an und sagte kühl, sie wolle einen iPod, und zwar den mit Touch-Funktion. Ich seufzte und schloss den Kassettenschacht, der sich mit einem soliden Klack für diesen Touch bedankte.
Ein kalter iPod, versprach ich meinem Tapedeck als ich das Licht im Keller ausmachte, kommt uns nicht in dieses sinnliche Haus. "Eher ziehe ich zu dir in den Keller."
Quelle:
Spiegel Online - SPIEGEL-Redakteur Christoph Schwennicke
http://www.spiegel.de/einestages/ode-ans...turedEntry